Hugo Rühle von Lilienstern

Untrennbar verbunden mit der Erforschung der Fährten im Chirotheriensandstein, wie auch mit der Entdeckung spektakulärer Dinosaurierfunde in Südthüringen, ist der Name Dr. med. u. Dr. rer. nat. h.. c. Hugo Rühle von Lilienstern.. Er war leidenschaftlicher Naturforscher und Fossiliensammler, belohnt mit zahlreichen glücklichen Funden und Erkenntnissen, dennoch tragisch endend. Ein Opfer unseliger Zeit.

Geboren wurde Hugo Rühle von Lilienstern am 9.August 1882 auf Schloss Bedheim im gleichnamigen Ort nahe Hildburghausen in Südthüringen. Bedheim, das mittlerweile auf eine 825-jährige Geschichte zurückblicken kann, liegt malerisch am Fuße der Gleichberge, zweier tertiärer Vulkanstotzen im südlichen Vorland des Thüringer Waldes.

Schon seit frühester Jugend galt Rühles Interesse der Naturwissenschaft, besonders der Geologie und Paläontologie. Schon als zehnjähriger sammelte er Fossilien aus der Trias der Umgebung von Bedheim. Zeitlebens sollte er sich ausschließlich mit dem Fossilinhalt seiner näheren Heimat beschäftigen.

In den Jahren 1903 bis 1909 absolvierte Rühle eine militärärztliche Ausbildung an der Kaiser- Wilhelm-Akademie in Berlin. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 heiratete er Marie Lüttich. Nach dem Krieg begann Rühle mit seiner Tätigkeit als Landarzt in Bedheim, wo er sich unter den Einwohnern und der Bevölkerung der umliegenden Gegend außerordentlicher Beliebtheit erfreute. Durch seine Fähigkeit, andere für Sinn und Wesen seiner Forschung und Sammeltätigkeit zu gewinnen und durch immer wieder spürbare Bescheidenheit schaffte er sich einen Kreis von Helfern und Freunden um sich, die ihn in seiner Schaffenskraft unterstützten. Bereits Mitte der 20er Jahre war er , insbesondere durch eine umfassende Sammlung der Flora des Lettenkeupers und Schilfsandsteins weit über die regionalen Grenzen hinaus bekannt. Er sammelte nicht nur, sondern bearbeitete die Fossilien auch wissenschaftlich, beschrieb mehrere Arten.

Ende der 20er Jahre begann Rühle mit Schürfversuchen am Großen Gleichberg und dem benachbarten Straufhain, der ebenfalls vulkanischen Ursprungs ist. Nachdem er hier inmitten eines Keuper-Gebietes durch Fossilfunde die ehemalige Existenz mariner Jura-Ablagerungen nachweisen konnte, gelangen ihm im Herbst 1932 spektakuläre Funde von Dinosaurierskeletten in einer durch die vulkanischen Eruptionen hochgetriebenen Keuperscholle im Basaltbruch der Stadt Römhild auf dem Großen Gleichberg. Es handelte sich jeweils um zwei, zwar nur unvollständig erhaltene, aber sich gut ergänzende Skelette von Plateosaurus pliengeri HUENE, sowie von Liliensternus (Halticosaurus) liliensterni HUENE, einem der bislang vollständigsten Coelurosaurierfunde der Trias. Rühle grub die wertvollen Funde eigenhändig aus einer Steinmergelbank der Knollenmergel, 14 m unterhalb der Rhätgrenze aus, und fügte die Knochen zu zwei 5,5 und 8 m langen Skeletten zusammen.

Er notiert dazu am 23.8.33: „Der große Saurier ist Plateosaurus Plieningeri, aus Schwaben wohl bekannt, aber hier noch nicht gefunden. Der kleine Saurier ist ein Coelurosaurier, von dem bisher nur wenige Bruchstücke bekannt sind. Ich freue mich unbändig, dass ich den einzigen Schädel aus dem Keuper habe, der überhaupt existiert! Leider kann ich die Biester nicht auf die Beine stellen, dazu wäre nach H u e n e eine Arbeit von mindestens einem Jahr mit geschulten Kräften notwendig. Er gab mir den Rat, die Knochen auf einem Brett zu montieren. das kann ich mir leisten. – Ich bin dabei, im Zuge des Umbaues des alten Pächterhauses, einen würdigen Saurierstall zu schaffen.“

Den letzten Ausschlag zur Einrichtung eines Museums, des künftigen „Paläontologischen Heimatmuseums“ mit dem „Saurierstall„, mag auch eine Entdeckung im Mai des Jahres 1933 in Hildburghausen gegeben haben: Rühle entdeckte beim Bau der Badeanstalt unter tatkräftiger Hilfe seines Freundes Hugo WILDFEUER einen Fährtenhorizont in 1,5 m Tiefe, aus dem die Bergung einer 14 m² großen Platte gelang. Wie sich herausstellen sollte, enthielt diese Platte ca. 200 Einzelabdrücke v. a. von Chirotherien. Rühle unterteilte die Fährtenplatte mithilfe von Gummifäden in quadratdezimetergroße Flächen, deren Fährteninhalt von Alfred SCHOCHARDT abgezeichnet wurde. In langjähriger Arbeit entwickelte Rühle sodann die palichnologische Studie „Fährten und Spuren im Chirotheriumsandstein von Südthüringen „, die 1939 erschien. Zusätzlich zu dem Fund der großen Fährtenplatte wurden darin auch u. a. Fährtenfunde der Ziegelei LEFFLER in Hildburghausen ausgewertet. Hier legte er auf einer ca. 100 m² großen Fläche vier Chirotherien-Fährtenfolgen frei. Am 25.9.1939 schreibt Rühle: „Prof. v. Huene nennt meine Fährtenarbeit einen Markstein in der Fährtenkunde“. Ich bin glücklich, dass die wirklich mühsame Arbeit nicht umsonst war.“

Doch zurück zum „Paläontologischen Heimatmuseum“, das Bedheim in Paläontologen- und Sammlerkreisen berühmt machte. Am 21.12.1933 vermerkt Rühle: „Die Saurier hängen! Viel Arbeit war’s, ich gebe es zu, aber nun viel Freude, wenn das Thüringische Ausgrabungsgesetz nicht einen Strich durch die Rechnung macht und alles annektiert. Wenn das Gesetz scharf aufgefasst wird, bedeutet es den Untergang der Paläontologie. Dann kann man sich neben seinen Sauriern an die Wand hängen.“ – Die Probleme von Sammlern damals und heute scheinen ganz ähnlich gelagert zu sein!

Die Freude am Aufbau des Museums dokumentiert eine andere Notiz: „Einen Mordsspaß hatte ich heute. Ich hatte einen Tüncher aus Bedheim im Saurierstall, der die Wände anstreichen sollte. Plötzlich sagte er: „Ich kann gar nicht mehr auf die vielen Knochen hingucken, ich fürchte mich zu Tode.“ – Als ich nach einer Weile wiederkam, war er tatsächlich verschwunden.“

Am 1.8.1934 wurde das Paläontologische Heimatmuseum eröffnet. Zweck des Museums war nach Rühles Verständnis jedoch nicht, eine Schausammlung einzurichten, als vielmehr Bildungs- und Forschungsstätte zu sein. Er schreibt (1939): „Zweck des Aufbaus meines Paläontologischen Heimatmuseums war nie , in einer reinen Sammeltätigkeit stecken zu bleiben. Die reiche Tier- und Pflanzenwelt der Trias, die von mir selbst herauspräpariert wurde, veranlasste mich, nach den Beziehungen zwischen Fossil und Umwelt zu forschen und außerdem auch stammesgeschichtliche Untersuchungen anzustellen. Ein besonderer Anlass hierzu war der Fund der von mir beschriebenen Fährtenplatte aus dem Chirotheriumsandstein“

Die Eröffnungsfeier fand in schlichtem Rahmen statt. Unter den Gästen befand sich auch Friedrich v. HUENE, der ins Gästebuch eintrug: „Vivat cresceat florat! Die Saurierfährten und Pflanzenfunde sind von größtem wissenschaftlichen Wert. Sie sind integrierender Teil der Dokumente, auf denen die Paläontologie ruht. Dieser jüngsten Stätte der Wissenschaft und ihrem Schöpfer wünscht ein ersprießliches Leben und Gedeihen als warmer Freund aus Tübingen“.

Für Rühle bedeutete die Eröffnung des Museums einen zusätzlichen Ansporn für weitere Aktivitäten. Die Fährten- und Dinosaurierfunde bedurften noch der Präparation und Beschreibung. 1936 kam die Entdeckung eines Mammuts bei Ostheim / Rhön hinzu, welches er zusammen mit seinen Freunden WILDFEUER und SCHOCHARDT ausgrub. Nebenbei präparierte Rühle einen Ichthyosaurus von 3,70 m Länge, den er von HAUFF, Holzmaden, erstanden hatte.

Diese glückliche Zeit sollte jedoch nicht von langer Dauer sein: Der Zweite Weltkrieg brach aus. Rühle wurde zunächst Musterungsarzt in Hildburghausen. Ende 1940 wurde er Chefarzt des Reservelazaretts in Erfurt, wo er nebenbei an einer Zusammenstellung der Saurier und Fährten Thüringens arbeitete. Das Material dieser Arbeit wurde posthum 1952 von M. LANG und v. HUENE zur Veröffentlichung gebracht. Besondere Bedeutung hat die Arbeit heute angesichts zahlreicher durch Bombenangriffe zerstörter Bibliotheken und Sammlungen, wie beispielsweise der von Jena.

1941 wurde Rühle Arzt der deutschen Besatzungsmacht in Paris. Im Paläontologischen Museum des Jardins des Plantes entdeckte Rühle auf einer aus Heßberg bei Hildburghausen stammenden Chirotherienplatte eine bislang unbekannte Fährtenart, die er als Dicymodontipus hilburghausensis beschrieb. Es sollte seine letzte Veröffentlichung sein.

Im März 1943 kommt Rühle aufgrund einer notwendigen Operation (Hautkarzinom) zurück in die Heimat. Am 4.4.1943 schreibt er: „Ich werde mich nach Jena zu Professor Guleke begeben. Gern hätte ich weiter gearbeitet bis ans Ende meines Lebens. So kann leicht ein Schlussstrich gemacht werden jetzt im Frühjahr, wo es mich in die Schöpfung der Natur treibt, die alles gibt. Und wenn es nicht sein soll, so habe ich wenigstens das Bewusstsein gehabt, nicht ganz unnötig auf der Welt gewesen zu sein. Die Medizin ist schön, aber sie hat mir nicht alles gegeben. Der Kassenbetrieb hat uns Ärzte überdies zu Handwerkern herabgewürdigt. Wenn ich mein Leben nochmals anfinge, würde ich es der Entwicklungsgeschichte widmen.“

Die Genesung nach der Operation machte nur langsam Fortschritte. Im August 1943 wird Rühle als Chefarzt nach Friedrichroda versetzt. Er schreibt: „Ich bin froh, dass ich Berge, Wälder, Steine und Pilze in der Nähe habe.“

Im Herbst 1943 wird Rühle anlässlich der 200-Jahrfeier der Universität Erlangen zum Dr. rer. nat. h. c. ernannt. Rühle war ebenso überrascht, wie erfreut. Die Nachricht erhielt er über einen Freund, der sie in der Tageszeitung gelesen hatte.

Eine interessante Notiz findet sich unter dem 14.5.1944: „Vom Kadetten SEILACHER erhielt ich eine großartige Arbeit über Muschelkalk- und Keuper-Elasmobranchier. Auf der paläontologischen Tagung 1939 hatte der 13-jährige Junge sich mir angeschlossen und war selig, daß ich ihm zu allen Veranstaltungen Zutritt vermittelte. Nun sitzt er oben in Murmik“. Seilacher ist heute weltbekannter Paläontologe und Träger des Crafoord-Preises 1992!

Mitte November 1944 erkrankte Rühle an einer schweren Lungenentzündung, die eine Herzerkrankung nach sich zog. Bereits seit längerer Zeit hatten die äußeren Umstände, die sich täglich verschlimmernden Nachrichten über den Krieg und die Sorge um Familie, Freunde und Verwandte, Rühle keinen Bezug mehr zur geliebten Paläontologie finden lassen. Die Nachricht, dass sein Sohn den Krieg überlebt hat, mag ihn noch einmal aufgerichtet haben.

Am 3.10.1945 wurde Rühle nach der Übernahme Thüringens durch die Rote Armee verhaftet und in die Sowjet-Union deportiert. Dort starb er am 8.7.1946 im Stadtlazarett von Tscherapowetz, nordöstlich von Moskau.

Was wurde aus dem Lebenswerk von Hugo Rühle v. Lilienstern?

Das Museum und der Saurierstall bestanden auch zu DDR-Zeiten weiter. Schloss und umliegende Wirtschaftsgebäude wurden nach Kriegsende zunächst von der sowjetischen Armee, später als Schule und zu Wohnzwecken genutzt. Im Jahr 1969 wurde es der Witwe Rühles erlaubt, in den Westen auszureisen. Zurück blieben Schloss und Sammlung. Der Saurierstall wurde aufgelöst und in das Naturkundemuseum in Berlin gebracht. Im April 1988 wurde während einer wissenschaftliche Tagung in Bedheim, die zur Würdigung Rühles abgehalten wurde, der „Freundeskreis Dr. Rühle von Lilienstern“ gegründet, der sich nach der Wende im Juli 1993 an den „Freundeskreis Bedheim e.V.“ anschloss.

Zu Rühles 110. Geburtstag wurde im Schlossgarten zu Bedheim ein Gedenkstein gesetzt. Eine weitere Würdigung erfuhr der Naturforscher und Saurierentdecker dadurch, dass Halticosaurus liliensterni zusammen mit der einzigartigen „Schwalbennestorgel“ der St. Kilians-Kirche als Wahrzeichen der Ortschaft in das Bedheimer Wappen aufgenommen worden ist.

bedheim

Das Wappen von Bedheim mit der Schwalbennest-Orgel und dem Dinosaurier Liliensternus liliensterni.

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