Der Roraima-Tepui in Venezuela

„Die vergessene Welt“

Im Rahmen einer Venezuela-Rundreise hatte ich im November 2010 die Gelegenheit, den Roraima-Tepui im Südosten des Landes zu besteigen.

Hier im Dreiländereck an den Grenzen zu Brasilien und Guyana gibt es über hundert solcher Tafelberge, die sich aus der Gran Sabana, einer großflächigen Savannenlandschaft und aus dem tropischen Regenwald erheben. Die einheimischen Indianer bezeichnen die Berge als „Tepuis“, „Häuser der Götter“. Sie bestiegen sie nie. Lange Zeit war damit die Oberflächengestalt der Hochflächen unbekannt.

Die Erstbesteigung des Roraima Tepui erfolgte 1884 durch den Briten Everard Im Thurn. Berühmtheit erlangte der Berg 1912 durch den Roman „The Lost World“ Arthur Canon Doyle. Er versetzte den Leser in eine abenteuerliche Landschaft mit urzeitlichen Pflanzen, Dinosauriern und Flugsauriern. So ganz Unrecht hatte er damit nicht.

Die Besteigung des wohl bekanntesten Tepui, des Roraima, nimmt mit zweitägigem Aufenthalt auf dem Berg etwa eine Woche in Anspruch. Das Massiv erhebt sich aus der Savanne beim Camp am Kukenan -Fluss, das auf 1050m Höhe liegt, bis auf 2800 m Höhe. Die Steilkante des Roraima ist ca. 800 m Meter hoch.

Man sollte über eine normale Bergwandererkondition verfügen. Besondere Kletterkenntnisse sind nicht erforderlich, auch wenn der Berg selbst dann noch diesen Eindruck vermittelt, wenn man direkt vor der Steilkante steht. Es ist schließlich eine schräge Abbruchkante, die „Rampe“ genannt, über die der Weg zunächst noch im Regenwald nach oben führt. Die letzten Höhenmeter haben zuweilen Klettersteigqualität. Nach etwa 8 Stunden ist es geschafft und die „verlorene Welt“ öffnet sich dem Betrachter. Wer meint, es handele sich um eine flache Hochebene, täuscht sich gründlich. Das Vorwärtskommen wird durch eine oftmals stark zerklüftete Oberfläche schwer gemacht. Vielfältige Verwitterungsformen lassen der Fantasie viel Spielraum bei der Interpretation unzähliger Fabelwesen. Der Regenwald und die Savanne im Tal sind einer schwarzen Felslandschaft aus Sandstein gewichen. Seltsame Pflanzen, viele endemisch und fleischfressend, konkurrieren in einem kargen Lebensraum, über den ständig Nebelschwaden ziehen. Regen, Nebel und Sonne wechseln sich ständig ab und verleihen der Landschaft den geheimnisvollen und mystischen Charakter.

Geologie und Landschaftsgeschichte

Für mich als Fossilien- und Mineraliensammler trägt die Geologie und Landschaftsgeschichte der Tepui-Berge ganz entscheidend zu deren Faszination bei:

Wir befinden und auf einer uralten Landmasse, dem Guyana-Schild. Dieser besteht aus magmatischen und metamorphen Gesteinstypen, meist Graniten und Gneisen, die bis 3,6 Milliarden Jahre alt sind und weltweit zu den ältesten noch vorhandenen Gesteinen zählen. Die Granite und Gneise befinden sich hier im südlichen Venezuela jedoch weit im Untergrund. Mit teilweise mehreren tausend Metern Mächtigkeit überlagert werden sie von Sandsteinen der Roraima-Gruppe.

Die Altersbestimmung des Roraima-Sandsteins, der keinerlei (Makro-) Fossilien enthält, geschah durch die Analyse von magmatischen Intrusivgesteinen, die aus dem Untergrund in den Sandstein eindrangen. Die radiometrischen Untersuchungen ergaben ein Gesteinsalter von ca.1,8 Milliarden Jahren.

Der Guyana-Schild ist der westlichste Bestandteil des ehemaligen Gondwana-Superkontinents. Dieser begann im Oberen Jura vor ca. 150 Millionen auseinander zu brechen. Der Atlantik entstand und die Landmasse trennte sich in Afrika und Südamerika. Die tektonischen Bewegungen führten zu Rissen in den Sandsteinablagerungen an denen die Erosion bevorzugt angreifen konnte. Die Landschaft wurde großflächig ausgehoben und die Tepuis blieben als Zeugenberge stehen, Ergebnis einer Erosion, die schon im Archaikum vor 1,8 Milliarden Jahren begann. Jüngere Sedimentationen, als die durch den Roraima-Sandstein haben zumindest nicht mehr statt gefunden.

Wer als Fossiliensammler unterwegs ist, ist ja ständig bemüht, doch etwas Fossiles zu finden, selbst wenn es nahezu aussichtslos erscheint. Doch leider ist der Roraima-Sandstein fossilleer. Auf Schritt und tritt begegnet der geologisch Interessierte jedoch Zeugnissen der Bildungsbedingungen der Sedimente in flachen Gewässern: Rippelmarken und Trockenrisse, Schrägschichtung des Sandsteins usw.

Sehr auffallend auf der Hochfläche des Roraima sind auch die zahlreichen Quarzgänge, die an der Oberfläche ausstreichen. Sie heben sich auf der Hochfläche unübersehbar vom schwarz verwitternden Sandstein ab. Zu tausenden übersäen Quarzkristalle unterschiedlicher Erhaltungsqualität die Oberfläche und zeigen den Verlauf der Quarzgänge an. An einigen Stellen hat die Erosion Klüfte freigelegt, die es jeden Mineraliensammler in den Händen jucken lassen. Aber wer hat schon schweres Werkzeug dabei, um die Klüfte weiter zu öffnen. Außerdem befinden wir uns in einem Nationalpark und die Mitnahme jeglicher Mineralien ist strikt verboten. Dieses Verbot wird bei der Rückkehr ins Basiscamp mehr oder weniger intensiv überprüft. Ich habe beobachtet, wie einige Roraima-Rückkehrer ihre Rucksäcke ausräumen mussten und auf mineralogische und botanische Mitbringsel gefilzt wurden.

Gold und Diamanten

Die gesamte weitere Umgebung der Tepui-Berge, die Gran Sabana und der umgebende Regenwald, sind bis hinein nach Brasilien eine bekannte Lagerstätte für Edelmetalle und Edelsteine. Alle Flüsse in der Umgebung des Roraima enthalten Diamanten. Der größte bisher bei St. Eléna gefundene Diamant hat ein Gewicht von 155 Karat. Die geologische Herkunft der Diamanten ist noch nicht bekannt. Zumindest sind es nicht die, wie in Südafrika oder im weiter nördlich gelegenen venezolanischen Guniamo-Vorkommen bekannten Eklogit-Kimberlit-Gesteine.

Auf der Fahrt von Norden hierher passierten wir unter anderem die Ortschaft El Dorado – früher und in abgeschwächter Form auch noch heute – Fundort von Gold in Seifenlagerstätten. Der Ausgangspunkt unseres Roraima-Trips, Santa Eléna nahe der brasilianischen Grenze ist heute noch Hauptversorgungspunkt und wichtigster Umschlagort der Funde von Gold- und Diamantwäschern. Wer jemals nach hierher kommt sollte es nicht versäumen, Alejandro Stern zu besuchen. Jeder im Ort kennt ihn. Er nennt sich selbst „The Jungle Buyer“ und verkauft Rohdiamanten bis mehrere Karat Größe in allen Farben („Fancy-Diamonds“) und die berühmten venezolanischen Goldkristalle. Alejandro ist auch jedes Jahr in München bei den Mineralientagen vertreten.

Nachtrag

Als Fossiliensammler kam ich am Ende meines Aufenthalts auf dem Roraima aber doch noch auf meine Kosten:

Ich sah das „lebende Fossil“ Oreophrynella quelchii, einen etwas über 2 cm messenden Frosch, der 1894 von McConnell und Quelch entdeckt wurde. Das Tier lebt endemisch ausschließlich auf dem Roraima-Tepui und dem benachbarten kleinen Wei-Assipo-Tepui. Der „Scheinfrosch“, wie er auch genannt wird, ist mit Fröschen, die in Afrika vorkommen, näher verwandt, als mit Formen aus Südamerika. Die Art, oder zumindest Nachkommen einer ursprünglichen „Gondwana-Art“ haben hier somit die Trennung des Kontinents vor 150 Millionen überdauert.

Reisen in Venezuela:

Venezuela ist kein ungefährliches Reiseland. Korruption und Kriminalität begegnen dem Reisenden insbesondere innerhalb der Städte und unterwegs auf den Straßen. Ich selbst, ein weiterer Teilnehmer aus unserer Gruppe und mehrere europäische Mitreisende wurde nachts bei einer Transferfahrt mit einem Reisebus von Angehörigen der paramilitärischen „Guardia National“ unter dem Vorwand einer „Kontrolle“ ausgeraubt. Sich an die Polizei zu wenden, ist aussichtslos. Zwischenzeitlich (nach fast einem Jahr) überwiegen die positiven Erlebnisse und es bleibt die Erinnerung an eine überwältigende Landschaft. An dieser Stelle viele Grüße an Sabine, Peter, Hans und Silvia, mit denen ich gemeinsam diese Tour unternommen habe.

Aufsätze mit guten Bildmaterial von Goldstufen und Diamanten sind in Lapis und extraLapis veröffentlicht:

Wachtler, Michael (2009): Im vergessenen Land des Goldes und der Diamanten;
in Lapis, Oktober 2009, S. 20 ff.
Wachtler, Michael (2010): Die Geheimnisse der Jaspisflüsse;
in extraLapis No.39 „Achate- geboren aus Vulkanen“, S. 72 ff.

Adressen, Mail, Telefon:

Alejandro Stern
Mail: sternalex@cantv.net
+58-289-9951886
+58-416-9398046
001-305-6077771

Wer den Roraima trotz der oben beschriebenen Unwägbarkeiten dennoch bereisen will, wird von folgendem deutsch-venezolanischen Reiseveranstalter vor Ort (Santa Eléna) bestens betreut:

Kamadac- Tours & Expeditions
www.abenteuer-venezuela.de
info@kamadac.de
(0289)995.18.03/995.14.08

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Der dem Roraima benachbarte Tepui Kukenan ist etwas kleiner als der Roraima.
Im Vordergrund der gleichnamige Fluss, der auf ihm entspringt und über einen 800 m hohen Wasserfall herabfällt.

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Die Steilwand des Roraima mit der „Rampe“ in der Bildmitte, über die der Aufstieg erfolgt.

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1,8 Milliarden Jahre alte Wellenrippel auf einer Sandsteinplatte am Kukenan-Fluss.

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Platte mit Trockenrissen auf Roraima-Sandstein.

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Ein Fossil? Wohl reines Wunschdenken!

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In manchen Abschnitten verläuft der Weg sehr bequem im Regenwald.

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Die „Rampe“ auf etwa halber Höhe.

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Auf der „Rampe“. Silvia beim Aufstieg.

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Auf der Hochebene.

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Die Ablagerungen zeigen teilweise auch Schrägschichtung.

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Hans wagte sich am weitesten nach vorne.

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Blick vom Roraima auf den benachbarten Kukenan

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Unvermittelt setzt Regen ein.

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Wanderung auf der Hochfläche

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Tausende von Kristallen markieren einen Quarzgang

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Szepterquarze (4 von ca. 100 000)

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eine Eidechse im Quarzsand (endemisch?)

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Eine ausgewitterte Kluft

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Kein Sammelprinz. Man muss ja alles liegen lassen!

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Milchquarzstufe – Mitnehmen verboten

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Der „Gondwana-Frosch“ Oreophrynella quelchii neben „Sonnentau“

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Der größte Teil der Pflanzen ist endemisch und fleischfressend

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Der Jaspisfluss in der Gran Sabana

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Die Gran Sabana – an dieser Stelle wurde „Jurassic-Park“ gedreht

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Steinzteitliche Pfeilspitzen aus Bergkristall – Fundort in der Nähe von Santa Elena (Privatsammlung)

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Grünlicher Rohdiamant ca. 1ct – erworben bei Alejandro Stern

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Diamantschleifer in Santa Elena

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