„Dreibein“ aus Wattendorf
Gast-Autor Hartwig Püschel, Grabungsteam Wattendorf, berichtet von seinem außergewöhnlichen Fund bei der Grabung im Jahre 2019.
„Dreibein“ ging ins Netz
Fund, Bergung und Präparation eines Pleurosaurus aus den Plattenkalken von Wattendorf
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Bild 1: Skelettteile, die von „Dreibein“ erhalten sind
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Fund
Am neuen Grabungstag – es war der 11. Juni 2019 – lachte mich schon am Morgen bei schönstem Wetter die Schicht 16 zum Abbau an. Diese ca. 3 Millimeter dicke Lage ist eine von mehreren Schichten der Hauptfundschicht in Wattendorf. Ein bisschen Ehrfurcht schwingt bei mir immer mit, wenn ich mir vor Augen halte, dass diese Sedimente vor rund 154 Millionen Jahren abgelagert worden sind. Alle Versteinerungen, die seit 2004 (dem Jahr, seit dem regelmäßig und systematisch in den Plattenkalken von Wattendorf nach Versteinerungen gesucht wird) entdeckt wurden, waren bisher in diesem Stapel aus spaltbaren Platten enthalten gewesen. Im Mittel ist dieses Schichtpaket fünfzehn Zentimeter dick. Es wurde im Laufe der Grabungskampagnen in vierundzwanzig Einzelschichten unterteilt, welche sich in der Regel auch über eine größere Fläche immer wieder identifizieren lassen. Allerdings variieren sie in ihrer Mächtigkeit und Spaltbarkeit. Zudem sorgen immer wieder Verwerfungen, Verschiebungen, aber auch Phänomene der Verkarstung für starke „Unruhe“ im Schichtpaket und erschweren dann die Identifizierung der einzelnen Schichten. Bisher konnte jedoch immer einem gefundenen Fossil eindeutig eine Schicht zugeordnet werden.
Am besagten Junitag ließ sich die Arbeit gut an. Vor mir lag plan die Schicht 16.
Die Platten ließen sich meist problemlos von der darunter liegenden Schicht 15 trennen und zerbrachen auch nicht gleich in viele Einzelteile, was beileibe nicht der Normalfall ist. Ein „Lupf“ mit der Spachtel: Oh, da war was! Fund? Mein Pulsschlag beschleunigte! Eindeutig, ein fünfstrahliges Beinskelett auf der liegenden Platte. Sucherglück (Bild 2)!
Nochmal genau hingeschaut, es gab keinen Zweifel. Da lag ein versteinertes Hinterbein, parallel zur Grenze eines Überzugs einer flächigen Ausfällung von Mangandioxid. Und dann die spannende Frage: Welches Tier wurde hier verewigt? Das Hinterbein einer Schildkröte konnte es nicht sein. Dazu passte nicht die vorliegende Anatomie. Vielleicht das eines Krokodils oder einer Brückenechse? Doch wo sind dann der Schwanz und das zweite Hinterbein? Auch beim genauen Betrachten war da nichts zu sehen. Hatte ich die fehlenden Teile schon abgebaut, ohne dies zu bemerken? Leicht möglich, weil die Oberseite der Schicht 15 flächenhaft mit Mangandioxid überzogen war, was das Erkennen fossiler Reste stark erschwerte.
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Bild 2: Erstaufnahme des Fundes in der liegenden Schicht 15
Das in mir aufkommende unsichere und ein wenig schuldbewusste Gefühl, etwas übersehen zu haben, trieb mich an, zügig und dennoch mit gebotener Vorsicht alle zuvor untersuchten Platten nochmals genau zu sichten, umzudrehen, zu befeuchten und ins Sonnenlicht zu halten. Nichts, gar nichts! Weil vom Rest des Fossils keine Spur zu entdecken war, hielt sich meine Begeisterung erst mal in Grenzen.
Zur Einordnung des Fundes war nun doch die Mithilfe der erfahrenen Mitsuchenden unerlässlich.
„Oh!, Ah! Lass mal sehen!“ Die Freude und Anteilnahme der anderen stoppte rasch meine sich breit machende Ernüchterung. Nach genauer Begutachtung waren wir uns schnell einig: Das gefundene Reptilfragment könnte fossiler Rest einer Brückenechse sein. Und dann die Aufmunterung durch die Truppe: Sollten der Schwanz und das zweite Hinterbein tatsächlich fehlen, so lässt sich vielleicht noch der Rest des Körpers finden.
Nachdem wir über eine weitere Stunde kleinere Platten der Schicht 16 entfernt hatten, tauchte doch tatsächlich das Kopfskelett auf. Jetzt war die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich zwischen Kopf und Hinterbein noch der Körper mit Wirbelsäule und Vorderbeinen unter dem überdeckenden Sediment finden lassen würde. Beflügelt durch diese Hoffnung erhielt der Fund schon jetzt seinen Spitznamen „Dreibein“.
An eine Bergung noch am selben Tag konnte wegen der fortgeschrittenen Tageszeit nicht mehr gedacht werden. Der gesamte Vorgang würde nach Einschätzung der Anwesenden mehrere Stunden dauern. So wurde die Stelle mit dem Fossil vorsichtig abgedeckt. Ein mit Bleistift ausgeführter Umriss diente als Vorgabe, wie weit das umliegende Gestein am folgenden Tag zu entfernen wäre.
Bergung
So kam es dann auch. Rings um die Markierung wurde anderntags der Plattenkalk zwei bis drei Zentimeter tief abgebaut. Das heißt, die Schichten 15 und die darunter liegenden wurden mit genügend großem Sicherheitsabstand zu „Dreibein“ entfernt. Dieses Vorgehen erforderte äußerste Umsicht und Konzentration. Wo könnten Spannungen auftreten? Wo zeichnen sich Risse ab, die zuvor nicht sichtbar waren? Es galt jetzt, die Spachtel oder den Flachmeißel mit größter Vorsicht anzusetzen, also den Kraftaufwand so fein zu dosieren, dass weder das Fossil selbst noch das umgebende Gestein beschädigt würden. Mussten wir doch weiterhin damit rechnen, dass Versteinertes zutage treten könnte. Nach drei Stunden war das Ziel erreicht: Eine ca. drei Viertel Quadratmeter große Platte, in sich gebrochen, aber vollständig und „Dreibein“ mittendrin, war vorbereitet für die eigentliche Bergung.
Zunächst wurden sachte Spachtel und Flachmeißel von mehreren Seiten unter die freigelegte Platte getrieben. Dabei zeigten sich schnell neue Risse und etliche kleinere Platten lösten sich ab. Diese konnten der Fundstelle entnommen werden. Die geborgenen Teile wurden vorsichtig auf Schaltafeln gelegt und Stück für Stück wieder zu einem lockeren Verband zusammengesetzt. Zwei Schaltafeln waren im Nu voll belegt. Wo es angebracht war, wurden die Plattenteile mit Bleistift nummeriert und Pfeile wurden gesetzt, um die Zusammengehörigkeit anzuzeigen. So kann dem Präparator die spätere Arbeit erleichtert werden. Glücklicherweise zerbrach der Fund nur in etliche Dutzend Einzelteile. Zu diesem Zeitpunkt war schon klar, dass eine spätere Zusammensetzung der Teilplatten nicht die eigentliche Herausforderung bei der Präparation sein würde.
Im Anschluss an die gut sechsstündige Bergung von „Dreibein“ wurden die beiden Schaltafeln samt aufliegendem Platten- und Fossilmaterial noch für den Transport vorbereitet. Dazu kamen in die Zwischenräume als Puffer zerknautschte Alufolie und obendrauf Zeitungspapier. Ein Umwickeln der bestückten Schaltafeln mit transparenter Folie sollte später beim Transportieren ein Verrutschen der wertvollen Fracht verhindern. Und wie bei jedem Fund wurde zum guten Schluss im Grabungsbuch eine Kennung für später notiert zusammen mit den Angaben der Personen, die für Fund und Bergung zuständig waren. In diesem Fall: Wa (für Wattendorf), 2019 (Fundjahr), 15 o (Fundschicht 15 oben) und 38 (als Fundnummer dieses Jahres). Auch die Verpackungsfolie bekam das Kennzeichen Wa2019/38.
Präparation
Im Frühjahr 2020 begann der geowissenschaftliche Präparator des Naturkunde-Museums Bamberg, Thomas Bechmann, mit dem Freilegen von „Dreibein“. Alles, was er dazu brauchte, findet sich in seiner Werkstatt: Schaber, diverse Druckluftstichel, Stereomikroskop, Absauganlage, Strahler mit Strahlkabine und nicht zu vergessen die notwendigen Steinkleber für das finale Fixieren.
Bild 3: Teile der Werkstattausstattung des Präparators
Thomas bearbeitete mit Schaber und/oder Druckluftstichel Einzelteil für Einzelteil mit größtem Fingerspitzengefühl und legte so in stundenlanger Feinarbeit die Wirbeltierreste frei. Schon bald stellte sich heraus, dass tatsächlich „nur“ ein Hinterbein sowie der Schwanz fehlten. Anhand der vorzüglich erhaltenen Reste von Kopf, Wirbelsäule, Schultergürtel mit Vorderextremitäten, Dutzenden von Rippen sowie einer Hinterextremität wurde dann klar, dass Fund 2019/38 ein Pleurosaurus, also ein Schlangensaurier ist.
Bild 4: Zwischenergebnis: „Dreibein“ weitgehend freigelegt, Platten teilweise lose.
Bild 5: Nahaufnahme des Hinterbeins (welch ein Unterschied zu Bild 2!)
Im August 2020 fing Thomas an, die einzelnen Stücke zusammenzufügen. Akribisch reinigte er alle Bruchkanten mit dem Sandstrahlgerät, um möglichst passgenau zusammenkleben zu können. Dafür benötigte er dann insgesamt einen Viertel Liter Akemi Marmorkitt, das ist eine ganze Menge. Parallel dazu präparierte er immer detaillierter, bis das letzte Sediment von den fossilen Knochen entfernt war. Die Brillanz der Präparation zeigt sich noch deutlicher bei UV-Beleuchtung (siehe Bild 6). Dem Präparator Thomas Bechmann ist damit wirklich ein sehenswertes Ergebnis gelungen. Auch die zeitaufwändige Komplettentfernung des eingangs erwähnten Überzugs von Mangandioxid trug nicht unwesentlich dazu bei (vergleiche auch Bild 2). Denn erst jetzt hoben sich durch den Kontrast zwischen dunklen Wirbeltierresten und hellbeigem Plattenkalk die Konturen wunderbar hervor. Übrigens, „Dreibein“ misst vom Kopf bis zum Becken ca. vierzig Zentimeter. Der abgetrennte Schwanz könnte knapp zweimal so lang gewesen sein.
Bild 6: Vorderkörper von „Dreibein“ unter UV-Licht
Bild 7: Im Vergleich, der Pleurosaurus im Tageslicht
Zu guter Letzt versteifte Thomas die gesamte Fossilplatte auf der Rückseite mit einer eingeharzten Baugewebematte (Bild 8), um die Bruchgefahr zu mindern. Die Platte ist jetzt recht dünn und nicht mehr so schwer, trotz allem sehr stabil und damit gut transportabel.
Bild 8: Die Rückseite des fertiggestellten Präparates
Ausblick
Nun harrt der Pleurosaurus auf seine wissenschaftliche Bearbeitung. Viele Fragen sind nämlich noch ungeklärt. Zu welcher Art gehört „Dreibein“? Gibt es Hinweise darauf, welcher Räuber „Dreibein“ so hergerichtet hat? Kann man Aussagen über Geschlecht und Alter machen?
Spannend, was da noch alles enthüllt werden könnte! Heute schlummert dieses Wattendorfer Fossil in einem mit Schaumstoff ausgelegten, tragbaren und abschließbaren Holzkasten – eigens gezimmert von Adi Weller, dem „Mann für alles Handwerkliche“ im Naturkundemuseum, – und wartet im Archiv auf seine Würdigung, falls es einmal im Zuge einer Sonderausstellung der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollte.
„Dreibein“ ist mit seinem Schicksal nicht alleine. Das Exemplar ist eines von hunderten Fossilien, welche in den vergangenen siebzehn Jahren in den Plattenkalken von Wattendorf entdeckt wurden. Die meisten Schätze lagern im Archiv des Museums. Etliche sind wie dieser Pleurosaurus schon bearbeitet, müssen aber noch wissenschaftlich untersucht werden. Viele Raritäten warten noch auf ihre Präparation. Die hauseigenen Mittel des Naturkundemuseums Bamberg reichen leider bei weitem dazu nicht aus. Mithilfe von Fossilpatenschaften und Spenden (Informationen dazu im Internet unter „Naturkundemuseum Bamberg“) konnte in der Vergangenheit immer wieder das eine oder andere besondere Stück bearbeitet werden.
Die von Dr. Matthias Mäuser, Leiter des Naturkundemuseums Bamberg, verfasste sechzig Seiten umfassende Broschüre mit dem Titel „Frankenland am Jurastrand – versteinerte Schätze aus der Wattendorfer Lagune“, erschienen im Pfeil Verlag München (momentan vergriffen, Neuauflage erscheint), bietet dem Interessierten einen hervorragenden Einblick in die außerordentliche Fülle der Funde, unter denen die versteinerten Reste von Reptilien eine herausragende Stellung einnehmen.
Die hervorragendsten Exemplare aus der Auswahl von Quastenflossern, Engelhaien, Schildkröten, Brückenechsen, Schlangensauriern und diversen Fischen zeigt die Sonderausstellung im Naturkundemuseum Bamberg. Selbst ein komplett erhaltener Flugsaurier kann präsentiert werden. Und nicht zu vergessen „Mobbl“, die bisher weltweit größte in den jurassischen Plattenkalken gefundene Schildkröte!
Alle dort gezeigten Exemplare sind von ausgezeichneter Qualität. Und eigentlich fehlt nur ein Archaeopteryx. Ob sich dieses Fossil in den Plattenkalken von Wattendorf allerdings finden lässt, wird die Zukunft zeigen, sind doch „unsere“ Plattenkalke mehrere hunderttausend Jahre älter als diejenigen um Solnhofen und Eichstätt. Vielleicht gab es zur Zeit der Entstehung der Wattendorfer Plattenkalke noch gar keinen Urvogel.
Allen Fossiliensammlern, die sich möglicherweise durch diesen Bericht ermuntert fühlen, zur Suche in die Plattenkalke von Wattendorf aufbrechen zu wollen, muss leider eine Absage erteilt werden. Der Teilnehmerkreis des Grabungsteams ist begrenzt und die Fundstelle wird wegen ihrer außerordentlichen wissenschaftlichen Bedeutung überwacht. Daher weiß ich mein Glück zu schätzen, bei der nächsten Grabungskampagne wieder dabei sein zu können. Denn wer in der Grabungstruppe freut sich nicht jetzt schon wieder darauf, wenn einer der Freunde der versteinerten Lagune den Ruf ertönen lässt: „Fund!“
Literaturnachweis:
Dr. Mäuser, Matthias: Frankenland am Jurastrand, Pfeilverlag München, 2014, 2. Auflage
Bildnachweis: Wolfgang Claus (Bild 2), Hartwig Püschel (Bilder 1, 3 bis 8)
Wattendorf Grabung 2021
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